Dr. Wilhelm Stäglich wrote:Reinicke selbst, das kam während seiner Vernehmung immer deutlicher zum Ausdruck, kannte Einzelheiten über die angeblichen Massenvernichtungen in Auschwitz und anderswo überhaupt nicht und verwies insoweit immer wieder auf den ihm unterstellten SS-Richter Dr. Morgen, der mit "den Organen der... Massenvernichtung selbst gesprochen" und einen "tiefen Einblick in alle diese Dinge" gewonnen habe. Bemerkenswert ist übrigens, daß Reinicke auf die Frage, wann er zum ersten Mal von dem Vorhandensein einer (!) Gaskammer in Auschwitz erfahren habe, zur Antwort gab, das sei Ende Oktober/Anfang November 1944 gewesen [68]. Damals sollen nämlich, wie heute allgemein behauptet wird, die Vergasungen von Juden auf Befehl Himmlers bereits eingestellt gewesen sein (siehe oben Seite 23 und Anmerkung 48 zu Kapitel 1).
Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, daß die Aussage Reinickes das typische Beispiel einer mit der Verteidigung abgesprochenen Gefälligkeitsaussage war, die zugleich auch den eigenen Kopf des Zeugen retten sollte, der sich damit eine Art Widerstandsgloriole zulegte. Es ist erschütternd, zu sehen, wie selbst hohe SS-Führer auf diese Weise letztlich dem Prozeßziel dienten, die angeblich einmaligen deutschen "Verbrechen" zu "beweisen". Vor dem Forum der Geschichte allerdings können Aussagen dieser Art keinerlei Bedeutung haben, weil sie erkennbar nur prozeßtaktischen Zwecken dienten und nachprüfbare Einzelheiten nicht enthalten [69].
Ebenso wie Reinicke suchte der ehemalige SS-Richter Dr. Konrad Morgen die SS als Organisation zu "entlasten", indem er die auch von ihm eingeräumten Judenvernichtungen als Geheimaktionen auf das Schuldkonto bestimmter Einzelpersonen schob, die entweder nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden konnten oder -- wie Rudolf Höß, der einstige Auschwitz-Kommandant -- bereits ein "Geständnis" abgelegt hatten. Er machte sogar einige Einzelangaben über die angeblichen "Todesfabriken" von Auschwitz, die indessen -- wie wir sehen werden -- die Dinge erst recht verwirrten und offensichtlich ebensowenig auf eigenen Feststellungen beruhten, wie seine Schilderungen über andere "Vernichtungslager", bei denen er wenigstens zugab, insoweit nur Gehörtes weiterzugeben [70].
Von Morgen stammen zunächst zwei Affidavits. In seinem Affidavit SS-65 vom 13. Juli 1946 gab er Auskunft über die angebliche Technik des "Vernichtungssystems" auf Grund von Mitteilungen, die er von dem Reichsarzt SS, dem SS-Gruppenführer Grawitz, erhalten haben wollte [71]. In seinem Affidavit SS-67 vom 19. Juli 1946 legte er die "Verantwortlichkeiten" für den "Vernichtungsplan" dar, wobei er im einzelnen Hitler, Himmler, Höß und Eichmann nannte [72]. Auch insoweit berief er sich auf Angaben von Dr. Grawitz. Da dieser damals -- wie könnte es anders sein! -- bereits tot war, konnte er Morgens Aussagen weder bestätigen noch dementieren. Nach seinen Affidavits erscheint auch Morgen also zunächst nur als Zeuge vom Hörensagen. Das änderte sich indessen mit seiner persönlichen Vernehmung am 8. August 1946 [73], nachdem Reinicke ihn einen Tag zuvor als bestinformierten Zeugen für die Massenvernichtungen hingestellt hatte. Seine mündliche Aussage vor dem Tribunal entsprach inhaltsmäßig fast vollkommen seinen beiden Affidavits, die allerdings weniger ausführlich waren. Zwei wesentliche Abweichungen fallen jedoch auf. Einmal ließ Morgen bei seiner Vernehmung als Zeuge in keiner Weise mehr erkennen, daß er die meisten Einzelheiten von Dr. Grawitz hatte.
Zum anderen hatte er in seinen Affidavits das Auschwitzer "Vernichtungslager" nicht näher lokalisiert, während er sich nun bei seiner mündlichen Aussage damit eindeutig festlegte, und zwar im Widerspruch zur Legende.Was Morgen im einzelnen zu dem Komplex "Todesfabriken von Auschwitz" bei seiner persönlichen Vernehmung zum besten gab, ist so aufschlußreich, daß es hier wenigstens auszugsweise wiedergegeben werden muß. Denn seine Angaben sind ein weiteres anschauliches Beispiel dafür, daß alles "Wissen" über die angeblichen Todesfabriken völlig aus der Luft gegriffen war. Dabei ist darauf hinzuweisen, daß Morgen neben Höß gern als einer der zuverlässigsten und glaubwürdigsten Zeugen für die Judenvernichtung in Auschwitz hingestellt wird.
Morgen erklärte dem Tribunal, daß er "Ende 1943 oder Anfang 1944" selbst in Auschwitz gewesen sei, um dort Ermittlungen gegen SS-Angehörige durchzuführen. Was er damals bei der Ankunft eines Judentransports angeblich beobachtet hatte, schilderte er so [74]:
"Es standen neben dem Ausladeplatz mehrere Lastkraftwagen und der betreffende Arzt stellte den Ankömmlingen anheim, diese Wagen zu benutzen. Er sagte aber, daß nur Kranke, alte Personen, Frauen mit Kindern davon Gebrauch machen dürften. Nun drängten sich diese Personen zu den ihnen bereitgestellten Fahrgelegenheiten. Er brauchte also nur noch die Personen zurückzuhalten, die er nicht zur Vernichtung schicken wollte. Diese Lastkraftwagen fuhren dann ab.
Sie fuhren nicht in das Konzentrationslager Auschwitz, sondern in eine andere Richtung, in das einige Kilometer entfernte Vernichtungslager Monowitz. Dieses Vernichtungslager bestand aus einer Reihe von Krematorien. Diese Krematorien waren von außen als solche nicht erkennbar. Man konnte sie für Groß-Badeeinrichtungen halten. Das wurde auch den Häftlingen bekanntgegeben. Diese Krematorien waren mit einem Stacheldrahtzaun umgeben und wurden innen bewacht durch die bereits erwähnten jüdischen Arbeitskommandos."
Obwohl Morgen das alles als eigene Beobachtung hinstellt, ist unverkennbar, daß er nur von anderen Gehörtes wiedergibt. Er kann jedenfalls den Weg, den die Lastkraftwagen nahmen, nicht selbst weiterverfolgt haben. Er hatte auch seine "Lektion" offensichtlich nicht genau gelernt. So schilderte er die sog. "Selektion" nach Ankunft eines Häftlingstransports -- er nennt sie übrigens im Gegensatz zum angeblichen Sprachgebrauch "Aussortierung nach Arbeitsfähigen und Arbeitsunfähigen" -- ganz anders als dies sonst geschieht, indem er die Häftlinge sich gewissermaßen selbst "selektieren" läßt.
Vor allem aber bezeichnete er Monowitz und nicht Birkenau als das "Vernichtungslager", was in eindeutigem Widerspruch zur Legende stand. Und das war nicht etwa nur ein "Versprecher"! Morgen fuhr nämlich fort [75]:
"Die Häftlinge, die abmarschierten in das Konzentrationslager, hatten keinen Hinweis dafür, wohin die anderen Häftlinge verbracht wurden.
Das Vernichtungslager Monowitz lag weit von dem Konzentrationslager entfernt. Es befand sich in einem weitläufigen Industriegelände und war als solches nicht zu erkennen, und überall am Horizont standen Schornsteine und es rauchte. Das Lager selbst war außen bewacht durch eine Spezialtruppe von Männern aus dem Baltikum, Esten, Litauern und Ukrainern. Die ganze technische Durchführung lag fast ausschließlich in den Händen der dazu bestimmten Häftlinge selbst, die nur jeweils durch einen Unterführer bewacht wurden."
Während Morgen vollkommen richtig das Lager Monowitz als in einem weitläufigen Industriegelände gelegen beschreibt, bleibt er also dabei, daß hier das "Vernichtungslager" gewesen sei. Auch im weiteren Verlauf seiner Aussage spricht er noch
mehrfach in diesem Zusammenhang von Monowitz, während der Name "Birkenau" bei ihm nicht ein einziges Mal auftaucht. Das ist mehr als merkwürdig. Allerdings mögen die seiner Aussage zufolge "überall am Horizont" rauchenden Schornsteine viel zur Entstehung der Gerüchte über die Massenvernichtungen von Juden beigetragen und möglicherweise nicht zuletzt bei Morgen selbst eine entsprechende Vorstellung erzeugt haben. Eigenes Wissen hierüber hatte er jedenfalls nicht. Seine Ausführungen lassen hieran keinen Zweifel. In Monowitz befand sich u.a. die neu errichtete Bunafabrik, die für die deutsche Kriegswirtschaft besonders wichtig war. Es ist daher durchaus möglich, daß dieser Teil des Lagergeländes noch besonders eingezäunt und bewacht war, wie Morgen es beschrieben hat.
Es ist eigenartig, daß der Zeuge Morgen vom Gericht nicht auf seinen "Irrtum" hingewiesen wurde, zumal da der ehemalige Auschwitzkommandant Höß bereits vorher unmißverständlich Birkenau als den Ort der Judenvernichtung bezeichnet hatte oder hatte bezeichnen müssen [76]. Man wollte die Dinge wohl nicht unnötig komplizieren und auch nicht weitere Widersprüche herausfordern. Deshalb wurde der Zeuge Morgen vermutlich auch nicht nach der Anzahl der Krematorien und Gaskammern befragt, über die er sich nicht geäußert hatte. Dabei wäre gerade die Klärung dieser Frage doch von erheblicher Bedeutung gewesen. zumal da auch Höß hierzu keine Angaben gemacht hatte. Doch in beiden Fällen lag das wohl durchaus im Sinne des Tribunals, das -- wie bereits gesagt -- angesichts der bestehenden Unsicherheiten offensichtlich bestrebt war, bei der "Feststellung" der angeblichen Judenvernichtungen nicht allzu sehr in die Einzelheiten zu gehen. Denn dann hätte die Gefahr bestanden, daß die ganze Vernichtungslegende schon damals unglaubwürdig erschienen wäre.
Morgen unterliefen noch weitere Irrtümer. So erwähnte er auf eine entsprechende Frage des Gerichtsvorsitzenden, daß zur Zeit seiner Ermittlungen in Auschwitz der SS-Standartenführer Höß "Kommandant des Konzentrationslagers Auschwitz in Personalunion mit dem Vernichtungslager Monowitz" gewesen sei [77].
Doch Höß war damals längst auf einen anderen Posten in Berlin versetzt worden; sein letzter Rang als Kommandant von Auschwitz war Obersturmbannführer [78]. Entweder wußte Morgen also über die Befehlsverhältnisse in Auschwitz zur Zeit seines Besuchs -- Ende Dezember 1943/Anfang 1944 -- wirklich nicht Bescheid oder er verfuhr in diesem Fall nach der damals verbreiteten Praxis, nur jene zu belasten, die ohnehin verloren oder für das Tribunal nicht greifbar waren. Höß aber hatte ja bereits "gestanden", was Morgen sicher nicht unbekannt war [79].
Morgen bestätigte übrigens auf Befragen von Rechtsanwalt Dr. Pelckmann, daß er die oben erwähnte Auschwitz-Insassin Eleonora Hodis eidlich vernommen habe und daß die in dem Buch "SS-Dachau" enthaltene Aussage dieser Zeugin mit dem Protokoll seiner Vernehmung übereinstimme [80]. Doch auch jetzt beschloß das Tribunal nicht, diese wichtige Augenzeugin persönlich zu hören oder wenigstens ihre schriftlich niedergelegte Aussage verlesen zu lassen. So erfahren wir aus den IMT-Protokollen nicht einmal, welchen Inhalt die Aussage der Hodis hatte; auch Morgen wurde nach Einzelheiten nicht gefragt. Dabei kann man als sicher davon ausgehen, daß den Richtern bekannt war, was Eleonora Hodis zu Protokoll gegeben hatte. Offiziell scheute man sich aber offensichtlich, weitere Einzelheiten über das "Vernichtungslager" zur Kenntnis zu nehmen und damit in das Verfahren einzuführen. Die Zeugen Vaillant-Couturier, Schmaglewskaja und nun wieder der gewissermaßen eine Kronzeugenfunktion ausübende Dr. Morgen hatten ja schon genug Verwirrung in dieser Sache gestiftet! In seinem Urteil ging das Tribunal bezeichnenderweise auf den eklatanten Widerspruch hinsichtlich des Orts der angeblichen Judenvernichtungen -- Birkenau oder Monowitz -- mit keinem Wort ein. --
Als Zeuge im späteren Frankfurter Auschwitz-Prozeß korrigierte Morgen stillschweigend seine früheren Aussagen über den Standort der "Vernichtungsanlagen"- die er vermutlich selbst nie gesehen hatte. Er verlegte sie nunmehr nach Birkenau und befand sich damit in Übereinstimmung mit der inzwischen sozusagen zu einer "Historischen Tatsachen" hochgespielten Version.
Niemand -- auch nicht die Richter des Auschwitz-Prozesses -- wies ihn dabei auf den Widerspruch zu seinen früheren Angaben im IMT-Prozeß hin. Wir werden auf diesen Sachverhalt im 4. Kapitel noch einmal zurückkommen.
[69] = Reinicke war zwar offiziell "Entlastungszeuge" für die SS, mußte aber bei dem mit der Verteidigung offenbar abgesprochenen Entlastungskonzept zwangsläufig letztlich zum Belastungszeugen werden. Immerhin enthält seine Aussage aber auch manches Positive über die SS und die KL. Er ist jedenfalls nicht zu vergleichen mit jenen "deutschen" Belastungszeugen, die sich freiwillig den Anklagebehörden zur Verfügung stellten und von denen Göring gesagt haben soll:
"Mir wird schlecht, wenn ich sehe, wie Deutsche ihre Seele an den Feind verkaufen!" (Gilbert aaO. Seite 115)
[70] = SS-Sturmbannführer Dr. Konrad Morgen war während des Krieges als Ermittlungsrichter der SS tätig. Vor dem Kriege war er Richter am Landgericht Stettin gewesen. Er praktiziert heute als Rechtsanwalt in Frankfurt/Main. Er brachte nach eigenen Angaben als SS-Richter 200 Fälle zur Aburteilung und verhaftete persönlich fünf KL-Kommandanten wegen bestimmter Verbrechen in den von ihnen geführten KL; zwei von ihnen wurden in den gegen sie durchgeführten SS-Gerichtsverfahren zum Tode verurteilt und erschossen.
Morgen erwies sich aus unerfindlichen Gründen in mancherlei Hinsicht dem Tribunal mit seinen Aussagen gefällig, indem er seine Ermittlungen teilweise so darstellte, als hätten sie sich auf die von der Anklage behaupteten planmäßigen Judenvernichtungen bezogen, was zweifellos nicht der Fall war (vgl. auch Langbein, "Menschen in Auschwitz", Seite 273). Die von ihm beigesteuerten Einzelheiten paßten allerdings, wie wir noch sehen werden, wieder einmal nicht ins Bild, soweit sie sich auf das "Vernichtungslager" Auschwitz bezogen.
[71] = IMT XLII, 551 ff.
[72] = IMT XLII, 563 ff.
[73] = IMT XX, 532ff.
[74] = IMT XX, 550.
[75] = IMT XX, 551.
[76] = IMT XI, 438ff., 441.
[77] = IMT XX, 552.
[78] = Höß wurde mit Wirkung vom 10.11.1943 mit der Wahrung der Geschäfte des Amtschefs D I (Politische Abteilung der Inspektion der KL) des WVHA beauftragt. Vgl. "Kommandant in Auschwitz", Seite 130 (Fußnote 3), Reitlinger aaO. Seite 584.
Nach einer brieflichen Mitteilung der Witwe des Kommandanten Höß an den Verfasser, war Höß ein halbes Jahr vor seiner Versetzung nach Berlin aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr im Dienst. Mit den Birkenauer Krematorien kann er demnach kaum noch etwas zu tun gehabt haben, da das erste von ihnen frühestens im März 1943 in Betrieb genommen wurde (Reitlinger aaO. Seite 167).
[79] = Auch Morgen sollte der Verteidigung als Entlastungszeuge für die SS-Organisation dienen. Die Gesamttendenz seiner Aussage lief -- wie bei Reinicke darauf hinaus, die angeblichen Judenvernichtungen als Tatsache zu bestätigen. dabei aber immer wieder zu betonen, daß der "Kreis der Wisser um diese Dinge... ein außerordentlich begrenzter" gewesen sei. Doch was er zur Vernichtungslegende beisteuerte, entsprang offensichtlich allein seiner Phantasie. In seinem Affidavit SS-67 vom 19. Juli 1946 (IMT XLII,563 ff.) hatte er die Reihenfolge der Verantwortlichkeiten für die Judenvernichtung wie folgt bezeichnet: Hitler, Himmler, Eichmann, Höß bzw. andere KL-Kommandanten; das wollte er angeblich u. a. von dem Reichsarzt-SS Dr. Grawitz erfahren haben (vgl. oben Seite 172).
[80] = IMT XX, 560-561
http://www.vho.org/D/dam/M3II2.html